Wirklich 28 Tage lang?Ich habe meine Reise in eine weitere düstere Welt abgeschlossen. Nämlich in die Zeit des 2. Weltkriegs in 28 Tage lang. Jetzt habe ich auch die passende Rezension dazu verfasst. Am Ende habe ich mir vor allem eine Frage gestellt: Was hat der Titel nochmal zu bedeuten?
|
Historik…Roman?
Zu der oben gestellten Frage komme ich später noch. Lasst uns das Buch doch als erstes, wie es sich gehört, in ein Genre einordnen. Das ist allerdings leichter gesagt als getan. Man darf es nämlich auf keinen Fall als Sachbuch oder Nachschlagewerk ansehen. Dann noch eher als Thriller, obwohl eigentlich auch nicht so richtig. Ich sehe es als eine gesunde Mischung zwischen Geschichtsstunde und frei erfundene Erzählung. Das ist es dann eigentlich auch. Im Nachwort des Autors zum Buch, schreibt er, dass alles auf dem inoffiziellen Ghettoarchiv „Ringelblums Vermächtnis“ und auf Berichten von Überlebenden basiert. Es gab nämlich wirklich einen Aufstand im Warschauer Ghetto, der im Jahre 1943 endete. Viele Aspekte hat er auch direkt ins Buch übernommen, meist nur leicht angepasst. Die meisten Namen der Charaktere hat er allerdings selbst erfunden, auch den der Protagonistin, um den Leser besser in die Person hineinzuversetzen. Ihre persönlichen Erlebnisse hat er auch alle frei erfunden, um den ein bisschen mehr Abwechslung und Tiefe bieten zu können. Es soll schließlich keine Aufzählung geschichtlicher Ereignisse werden. Apropos geschichtliche Ereignisse: Man muss kein Geschichtsprofi sein, um das Buch lesen zu können. Wenn man allerdings über Dauer und wichtige Ereignisse des Krieges Bescheid weiß, versteht man auch Hintergrundhinweise/Andeutungen und weiß, was gerade sonst noch so auf der Welt passiert ist. Interessant ist auch, dass die Ghettobewohner gar nicht mehr ganz so lange ausharren hätten müssen. Die Befreiung durch die Sowjetunion wäre sehr nahe gewesen. Mira, die Hauptperson beschreibt auch immer Flugzeuge, die die Stadt bombardieren. Allerdings waren die Deutschen gerade in der Phase der sogenannten „Endlösung“, bei der es das Ziel war, so viele Juden wie nur möglich zu vernichten. Die Menschen im Ghetto hätten die Befreiung wahrscheinlich nicht mehr miterlebt. Aber wo können wir das Buch jetzt einordnen? Wir haben es hier offensichtlich mit einem Roman zu tun, der auf geschichtlichen Ereignissen basiert. Also ein Historik…Roman? Wieso auf einmal so ernst? Der Autor heißt David Safier. Moment mal… ist das nicht der der mit Komödien wie Jesus liebt mich und Plötzlich Shakespeare bekannt wurde? Ja genau, das ist der. Aber wie konnte es ihn jetzt zu einem so ernsten Thema verschlagen? Die Antwort darauf finden wir ebenfalls im Nachwort zum Buch: Es ist eine Geschichte, die er immer schon schreiben wollte. Als er sich einmal intensiver mit dem Thema beschäftigte, faszinierten ihn die Geschichten von menschlicher Größe, aber auch von menschlicher Feigheit. Er wollte damit zeigen, dass sich nicht alle Juden wie Schlachtvieh in den Tod haben führen lassen. Es gab auch Widerstand. Das wollte er Anhand des Beispiels im Warschauer Ghetto zeigen. Aber wie schreibt David Safier so ein ernstes Buch? Das dürften sich vor allem die fragen, die seine Komödien gelesen haben. Er schreibt es vor allen Dingen in der „Ich-Perspektive“. Mira heißt die Hauptperson, die sich im Buch nach und nach, immer mehr verändert. Besonders nach einem sehr einschneidenden Erlebnis, ändern sich ihre Sichtweisen drastisch. Diese Veränderung ist allerdings immer sehr menschlich dargestellt und auch nachvollziehbar für den Leser. Es gibt aber auch Situationen, in denen Mira die falsche Entscheidung trifft. Das hat dann meist schwerwiegende Konsequenzen. Ebenfalls sehr vorteilhaft ist die Erzählung aus der „Ich-Perspektive“, weil es sehr interessant ist, Mira dabei zu verfolgen, wie sie immer mehr Informationen über die Deutschen herausfindet. Am Anfang weiß sie beispielsweise noch nichts über die Vernichtungslager usw. Erst mit der Zeit erfährt sie immer mehr über solche Grausamkeiten. Ansonsten schreibt David Safier, bis auf ein paar Ausnahmen, recht einfach konstruierte Sätze. Dadurch kommt man sehr gut in einen Lesefluss und findet sich sofort wieder zurecht, wenn man eine Pause beim Lesen eingelegt hat. Das Buch zieht einen sehr schnell wieder in die Geschichte rein. Manchmal verwendet der Autor aber unnötig viele Beistriche. Vor allem dann, wenn er sich doch an etwas längeren Sätzen versucht. Zum Beispiel setzt er recht oft einen Beistrich vor das Wort „und“, dass eigentlich nicht unbedingt einen verlangt. Das fällt aber nicht weiter negativ auf. Die Sprache und Wortwahl ist auch eher einfach, aber gut und immer passend. Die Ausdrücke sind modern, bleiben aber immer passend zur damaligen Zeit. Es gibt aber Gott sei Dank keine so alten Ausdrücke, dass man Oma von nebenan nach ihrer Bedeutung fragen muss. Die eine oder andere Wortwiederholung konnte ich zwar entdecken, meist werden aber, trotz der nicht zu komplexen Wortwahl, abwechslungsreiche Ausdrücke verwendet. Der Schwierigkeitsgrad wird also nicht durch die Wortwahl in die Höhe getrieben. Allerdings sollte man ein wenig Wissen zum Thema 2. Weltkrieg und Judenverfolgung haben. Man muss, wie vorhin schon erwähnt, keine Details kennen, Grundwissen ist allerdings angebracht. Aufgrund dessen und aufgrund des gewissen Gewaltgrades, empfehle ich das Buch ab 14 Jahren zu lesen. Generell spart das Buch nicht mit dramatischen, traurigen und bewegenden Situationen. Hier ein Beispiel: Als eine Gruppe von Juden wird in einen Kessel zusammengetrieben und es findet eine Selektion statt. Die Juden mit einer Arbeitsbescheinigung dürfen bleiben, die anderen kommen in die Züge und damit in den Tod. Dabei wird eine Frau von ihrem Kind getrennt. Die Situation ist dabei sehr dramatisch in Szene gesetzt. Als die Frau dann sagt: „Man kann immer ein neues Kind bekommen“ wirkt es besonders traurig. Bei solchen Situationen fällt dann meist das, sehr passende, „Motto“ des Buches: „Welcher Mensch willst du sein?“ Noch mehr Potential Die größte Stärke des Buches ist ganz klar die Erzählung. 28 Tage lang beinhaltet wirklich sehr bewegende Situationen, wie das Beispiel mit der Frau im oberen Absatz. Man muss sich auch immer bewusst sein, dass diese grausamen Taten zum Teil auch wirklich geschehen sind. Es gibt aber auch ein paar witzige Stellen, die die ernste Situation ein wenig auflockern. Beispielsweise wie in diesem Textauszug: „Doch in diesem Augenblick trat Amos dazwischen und sagte: >Heute Nacht gibt es ein Wunder!< >Was?< ,fragten Daniel und ich gleichzeitig. Amos ignorierte Daniel, wie er es schon die ganze Zeit über getan hatte, und zog mich in eine andere Kammer des Bunkers. Zu einem jungen Mann mit krausem Vollbart. >Das ist Leon Katz<, stellte er ihn mir vor. >Leon, das ist Mira, eine Freiwillige für unsere Unternehmung.< Ich fragte mich, um was es sich bei dieser Unternehmung handelte, etwa um einen besonders effektiven Angriff auf die Deutschen? >Sag ihr was wir machen<, forderte Amos Leon auf. >Wir backen heute Nacht Brot< (…) 28 Tage lang, S.346; Diese Aktion ist übrigens, laut Erzählungen von Überlebenden, wirklich passiert. Im Buch sorgt sie für Abwechslung und lockert die, gerade besonders bedrückende, Situation deutlich auf. Auch eine wirklich nette Idee, ist die „zweite“ Geschichte, die sich in Miras Träumen abspielt. Sie träumt diese Geschichte, die übrigens sehr an ein Kinderbuch erinnert, um sich immer wieder an den Tod einer bestimmten Person zurückzuerinnern und diese nicht zu vergessen. Auch dieses kleine, aber nette Detail sorgt angenehm für Auflockerung und Abwechslung. Ohne diese Details hätte es womöglich passieren können, dass das Buch zu eintönig verläuft. Ein guter Einfall, Herr Safier! Der Autor wollte aber, neben diesen Details, die gesamte Handlung in die 400 Seiten drücken. Das merkt man teilweise leider. Zum Beispiel verlaufen die Kämpfe sehr schnell und bestimmte unwichtige Situationen werden gleich ganz weggelassen. So registriert man als Leser manchmal gar nicht, dass Mira schläft oder Nahrung zu sich nimmt, da diese Handlungen überstolpert werden. So hat man, vor allem gegen Ende, ein sehr schlechtes Zeitgefühl. Und als Amos den Satz „28 Tage haben wir den Deutschen widerstanden“ sagt, denkt man sich nur: „Jetzt sind doch niemals 28 Tage vergangen!“. Da lässt David Safier leider noch einiges an Potential übrig. Er hätte mit einer detailreichen Erzählung sogar einen Mehrteiler aus dem Buch machen können. Ansonsten geht der Umfang „400 Seiten“ aber OK. Was aber an der Handlung noch besonders toll ist: Man weiß wirklich bis zum Schluss (!) nicht, ob es ein trauriges Ende oder ein Happy End gibt. Das spannt viele Situationen nochmal deutlich an. Von Fehlern, Murmeln und Buchtiteln Die Charaktere im Buch sind im Großen und Ganzen eigentlich auch gut gestaltet und interessant dargestellt, einen Fehler haben sie aber dann doch. Dieser fällt vor allem bei der Protagonistin auf: Mira ist eigentlich sehr sympathisch und handelt meistens auch verständlich. In vielen Situationen ist sie auch sehr schlau und hat einen guten Plan parat. Manchmal scheint sie mir aber ziemlich vergesslich. Sie vergisst aber nicht unwichtige und menschliche Sachen, wie zum Beispiel den Einkauf zu tätigen, sondern wirklich wichtige, entscheidende Dinge oder sogar Charaktere, die auf bestimmte Situationen einen Einfluss haben könnten. Das raubt dem Buch manchmal so einiges an Atmosphäre. Wo wir gerade bei Fehlern sind: Ich konnte nur zwei Rechtschreibfehler/Grammatikfehler entdecken, was im Vergleich zu anderen Büchern noch immer gut ist. Einmal schreibt der Autor „der Hauses“ und einmal verwendet er den äußerst unpassenden Ausdruck „beim nächsten Male“, der mich sehr an eine Märchenerzählung erinnert. Ansonsten haben die KorrekturleserInnen gute Arbeit geleistet. Ich bin übrigens auch sehr froh, dass David Safier ein deutscher Autor ist. So musste ich mich nicht wieder mit eigenartig klingenden Übersetzungen herumschlagen und konnte die Originalversion genießen. Im meiner Vorschau zu 28 Tage lang habe ich das Buch übrigens noch für das gut gestaltete Cover gelobt. Jetzt habe ich meine Meinung, zumindest teilweise, geändert. Zuerst das positive: Die Murmel auf dem Backcover rechts unten kommt übrigens, wie vermutet, wirklich im Buch vor. Sie spielt am Ende des Buches eine „kleine aber feine“ Rolle. Wer jetzt vermutet sie wäre magisch oder so, der liegt allerdings auch falsch, schließlich haben wir es hier mit einer „leicht abgeänderten“ geschichtlichen Erzählung zu tun und nicht mit einem Fantasy-Roman. Die Murmel steht eher als eine Art Symbol, mehr möchte ich allerdings nicht verraten. Der Spruch auf dem Backcover „Was für ein Mensch willst du sein?“ ist das „Motto“ des Buches und kommt auch öfters darin vor. Vor allem gegen Ende spielt er eine größere Rolle. Obwohl Miras Antwort auf die Frage im ersten Moment ein wenig eigenartig ist, versteht man nach kurzem Nachdenken, was gemeint ist. Jetzt zum negativen: In meiner Vorschau zu 28 Tage lang schreibe ich über den Text auf dem Backcover nur positives. Jetzt erkenne ich allerdings einen Inhaltsfehler darin. Dort steht: „Als sie (Mira) erfährt, dass die gesamte Ghettobevölkerung umgebracht werden soll, schließt sich Mira dem Widerstand an.“ Im Buch ist das allerdings ganz anders. Die Nachricht, dass die gesamte Ghettobevölkerung umgebracht werden soll, bewegt Mira nicht dazu, sich dem Widerstand anzuschließen. Sie schließt sich einer kleineren Schmugglerbande an, aber sicher nicht dem Widerstand. Beim Lesen sorgt dieser Satz also sehr für Verwirrung. Dem Widerstand schließt sie sich erst viel später an. Dazwischen passieren einige sehr einschneidende und persönliche Ereignisse, die sie schlussendlich dazu bringen, mit dem Widerstand zu kooperieren. Zuvor wirft sie diesem nämlich noch so einiges vor. Zudem passiert das auch noch recht spät im Buch. Der Text am Backcover nimmt dem Leser also sogar die Überraschung vorweg! Jetzt muss ich allerdings noch, wie schon am Anfang der Rezension kurz angedeutet, den Titel „28 Tage lang“ näher analysieren. Im Voraus mag vielleicht gerade dieser zum Kauf des Buchs anregen, in Wirklichkeit sieht das aber alles ganz anders aus. Der Titel ist eigentlich nur dazu da, um vor dem Lesen des Buches Spannung zu erzeugen. Auf dem Backcover wird er beispielsweise zum Mysterium und wirft uns spannende Fragen an den Kopf. Im Buch selbst muss man allerdings vergeblich danach suchen. Er kommt genau einmal vor, nämlich als Amos den Satz „28 Tage lang haben wir den Deutschen widerstanden“ sagt. Dieser Satz ist allerdings nichts Besonderes, da am Backcover sowieso schon geklärt wurde, dass der Widerstand 28 Tage lang durchhält. Der einzige Zusammenhang zum Inhalt ist also dieser Satz und seine Bedeutung. Auch hier wird leider einiges an Potential verschenkt. Manche könnten es ja für spannend befinden, aber meiner Meinung nach ist der Titel ein tiefer Griff in die PR-Kiste, mehr nicht. Ansonsten finde ich das Design des Covers wirklich gut und auch das orange Bändchen, das als Lesezeichen dient, ist ein netter Zusatz. Ich habe das Buch übrigens, ohne den Cover-Umschlag gelesen, da er leicht verrutscht. Das Buch sieht dann aber trotzdem noch gut aus und ist sogar am Sidecover mit dem Titel markiert. So kann man es auch ohne dem eigentlichen Cover wiedererkennen. Erschienen ist das Buch 2014, herausgegeben vom Kindler-Verlag, allerdings wird Ende August eine deutlich günstigere Variante, vom rororo-Verlag, als Taschenbuch veröffentlicht. (Mehr dazu in meiner August-Vorschau) |
Ähnliche Bücher